Linas verlorene Stimme

Lina

Es war einmal ein kleines Mädchen namens Lina, das in einem Dorf lebte, in dem der Wind Geschichten erzählte, wenn er durch die Bäume fuhr. Lina hatte große, dunkle Augen, die immer mehr sagten als ihre Lippen, denn Lina sprach nicht. Nicht, weil sie es nicht konnte. Sondern weil sie es nicht mehr wollte.

Seit dem Tag, an dem alle über sie gelacht hatten, als sie im Unterricht ein Gedicht vortragen sollte und vor Aufregung gestottert hatte, war ihre Stimme wie verschwunden. Sie versteckte sich in Linas Bauch, zitterte dort wie ein kleines Vögelchen, das den Ausgang nicht mehr fand.

Die Leute im Dorf sagten: „Sie ist eben still.“ Die Lehrer sagten: „Vielleicht ist sie schüchtern.“ Und die Kinder sagten… meist gar nichts, denn Lina wurde übersehen wie ein Schatten im Regen. Doch eines Tages geschah etwas, das alles veränderte. Ein fremder Händler kam ins Dorf, ein alter Mann mit einem Hut, der aussah, als wäre er aus den Fäden des Mondes gewoben. Er verkaufte keine Waren nur Worte.

„Worte für Mutige, Worte für Weise, Worte für jene, die ihre verloren haben“, sagte er. Die Dorfbewohner lachten. Worte verkaufen? Das war doch Unsinn! Aber Lina beobachtete ihn. Und als er sich am Brunnen niederließ, ging sie zögernd zu ihm. „Du willst also deine Stimme wiederfinden“, sagte der Händler, ohne dass sie ein Wort gesagt hatte. Lina nickte. „Dann brauchst du kein neues Wort. Du brauchst nur eins: Vertrauen.“

Er griff in seine Tasche und holte ein kleines Fläschchen hervor. Darin schwamm – so schien es – ein winziger Lichtpunkt, der wie eine Glühbirne im Wind flackerte. „Trink es nicht“, sagte er. „Halte es einfach fest – bis der Moment kommt“. Lina nahm das Fläschchen mit nach Hause. Sie versteckte es unter ihrem Kissen, nahm es überall hin mit, auch wenn sie nicht wusste, was sie damit tun sollte. Doch sie hielt es fest. Ganz fest. Jeden Tag.

Und dann kam der Moment. In der Schule wurde das Frühlingsfest vorbereitet. Die Lehrerin sagte: „Wer möchte das Gedicht vortragen?“ Niemand meldete sich. Lina spürte, wie ihr Herz klopfte. Sie griff in ihre Tasche, spürte das Fläschchen, es war warm.

Sie stand auf. Alle starrten. „Lina?“, fragte die Lehrerin überrascht. Das kleine Mädchen ging nach vorne. Ihre Hände zitterten. Ihre Knie auch. Aber sie erinnerte sich an das Wort: Vertrauen. Sie öffnete den Mund und die Stimme kam. Zuerst leise. Dann klarer. Und mit jedem Vers wuchs sie, füllte den Raum, wie Sonnenlicht einen dunklen Winkel. Und als sie endete, war es ganz still. Dann klatschten sie. Nicht laut, nicht übertrieben, sondern ehrlich. Denn sie hatten sie gehört, wirklich gehört.

Als Lina nach Hause kam, griff sie in ihre Tasche. Das Fläschchen war leer. Aber das Licht, das war nun in ihr. Und von diesem Tag an wusste sie: Ihre Stimme war nie weg. Sie hatte nur auf den Moment gewartet, an dem Lina ihr wieder vertraute.

Was wir aus der Geschichte lernen können:
Es braucht oft nur einen kleinen Moment des Vertrauens, um eine große Veränderung auszulösen. Die eigene Stimme wiederzufinden beginnt mit dem Glauben an sich selbst.

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