Die Feder des Feuervogels

Feuervogel

Es war einmal ein Königreich, das vom Licht lebte. Nicht vom Licht der Sonne, nicht vom Licht der Sterne sondern vom Licht eines einzigen Vogels, der in den Bergen wohnte: dem Feuervogel. Er war von solcher Schönheit, dass selbst der Himmel errötete, wenn er flog. Sein Gefieder glühte in Gold und Rubin, und wenn er sang, heilten Wunden, lösten sich Sorgen, und selbst der härteste Winter wurde weich. Doch er zeigte sich nur einmal im Jahr. Am Tag des Erinnerns, wenn die Menschen innehalten und sich fragen: Wofür brennt mein Herz noch?

In diesem Königreich lebte ein Mann namens Tarun, ein einfacher Töpfer, der früher einmal lachte. Doch seit der Sturm sein Haus zerstört, seine Frau an Fieber verloren und sein Sohn in die Ferne gezogen war, trug Tarun nur noch graue Kleider und ging mit gesenktem Kopf. Die Leute flüsterten: „Er hat seinen Sinn verloren.“ Doch niemand sprach ihn direkt an. Denn es gibt eine Art von Trauer, die nicht weint, sondern nur schweigt.

In der Nacht vor dem Erinnerungstag schien der Wind unruhiger als sonst. Tarun saß allein in seiner Werkstatt, in der er nichts mehr formte, und starrte in die leere Tonschale vor sich. Da klopfte es leise an seiner Tür. Er öffnete, doch niemand war da. Nur ein einziger Gegenstand lag auf der Schwelle:

Eine Feder. Sie war goldrot, pulsierend wie eine Glut, und so warm in seiner Hand, dass er sie instinktiv an die Brust zog. Und plötzlich – stand der Feuervogel vor ihm. Nicht in voller Größe, sondern als Bild im Fenster, aus Licht gewebt. „Du hast mich gerufen.“ Tarun sprach nicht, konnte nicht. Doch der Vogel hörte seine Gedanken. „Ich will nichts mehr“, dachte er. „Ich habe alles verloren.“ Der Feuervogel neigte den Kopf. „Dann hast du nun alles, was du brauchst“. Tarun verstand nicht. „Wer nichts mehr hat, hat keine Angst mehr. Und wer keine Angst hat, kann tun, was getan werden muss.“ Der Vogel verschwand. Nur die Feder blieb. Tarun hielt sie und fühlte zum ersten Mal seit langer Zeit Wärme. Nicht Trost. Aber eine Richtung.

Am nächsten Morgen ging er in die Stadt. Er sprach mit keinem, sah keinem in die Augen. Aber er stellte sich auf den Marktplatz, hob die Feder – und begann zu erzählen. Von der Liebe. Vom Verlust. Von Schmerz, den keiner sieht. Die Leute blieben stehen. Und er sprach weiter. Tag für Tag. Nicht, um zu heilen sondern, um nicht zu verschwinden.

Im Laufe der Zeit begannen andere, zu ihm zu kommen. Nicht wegen seiner Geschichten sondern weil sie merkten: Da ist jemand, der auch fällt und trotzdem geht. Und so wurde Tarun nicht der Mann, der den Feuervogel gesehen hatte. Sondern der, der seine Feder weiterreichte.

Was wir aus der Geschichte lernen können:
Auch wenn alles verloren scheint, kann darin der Anfang neuer Kraft liegen. Wer nichts mehr zu verlieren glaubt, trägt oft den Mut in sich, der andere berühren kann.

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